Die Patientenwürdefrage ist als einfache, offene Frage formuliert:

„Was sollte ich über Sie als Person wissen, um Sie bestmöglich versorgen zu können?”

Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Frage Themen und Problembereiche zutage fördern kann, die für die Planung und Durchführung der Pflege und Behandlung von Belang sein können. Sie dient dazu, „unsichtbare“ Faktoren, die sonst nicht zum Vorschein kämen, sichtbar zu machen und Probleme frühzeitig zu erkennen.

Stellen Sie sich die folgenden Szenarien vor:

Ein Mann wird nach einem Verkehrsunfall in die Notaufnahme eingeliefert. Durch das Auslösen des Airbags hat er ein paar gebrochene Finger, und es könnten auch Nerven verletzt sein. Es grenzt an ein Wunder, dass der Mann den Zusammenprall ohne schwerere Verletzungen überlebt hat. Zudem hat er Glück, dass nur seine linke Hand betroffen ist, denn er ist Rechtshänder. Seine Schmerzen sind versorgt. Dennoch ist er völlig aufgelöst. Er verhält sich, als gehe es um Leben oder Tod.

Man könnte denken, der Mann sei hysterisch und überspannt – bis die Patientenwürdefrage gestellt wird. Durch diese Frage erfahren die Behandelnden, dass der Mann Berufsmusiker ist, dem kürzlich ein Engagement bei einem der besten Symphonieorchester der Welt angeboten wurde – von diesem Traumjob hatte er zehn Jahre lang geträumt.

Plötzlich haben die Behandelnden die zentrale Information, die sie benötigen, um konstruktiv und sensibel mit dem völlig verzweifelten Mann umzugehen. Diese Information ist für das gesamte medizinische Team und für alle, die mit dem Patienten während der gesamten Behandlung in Kontakt kommen, äußerst wertvoll.

Eine Frau taumelt in die Eingangshalle eines innerstädtischen Krankenhauses; ihre Kleidung ist ungepflegt und schmutzig. Sie lallt und kann sich kaum auf den Beinen halten. Sie riecht nach Bier und Zigaretten.

Man könnte denken, die Frau sei einfach nur betrunken. Doch die Patientenwürdefrage zeigt, dass sie Diabetikerin ist und ihre Medikamente verloren hat. Ihr Blutzuckerspiegel ist gefährlich hoch und sie könnte jederzeit ins Koma fallen.

Die Patientenwürdefrage ist in jeder Phase der Pflege und Behandlung sinnvoll, z. B.:

      • bei Routineuntersuchungen
      • bei der Durchführung diagnostischer Tests
      • bei der Patientenaufnahme
      • vor der Körperpflege
      • bei der Entscheidung für eine Behandlung oder Therapie
      • beim Besprechen der Modalitäten der häuslichen Pflege oder der Langzeitpflege

Dabei muss die Frage nicht von allen laut ausgesprochen werden; dennoch ist es sinnvoll, sie im Hinterkopf zu behalten, wenn man darüber nachdenkt, wie man mit einer Patientin/einem Patienten und ihren/seinen Angehörigen am besten umgeht. Das Ziel ist es, dass Gesundheitsversorgende Patientinnen und Patienten als einzigartige Menschen sehen, anstatt bloß ihre Erkrankungen oder Symptome wahrzunehmen.